Grüne Gedanken

(von 2005)

Carl Rogers



Der Mensch von Morgen



 
 
Wer wird imstande sein, in dieser völlig fremden Welt zu leben? Ich glaube, es werden Menschen sein, die jung sind an Geist und Seele - und das bedeutet oft auch körperlich jung. Da unsere Jugend in einer Welt heranwächst, in der sie von den Tendenzen und Auffassungen umgeben ist, die ich beschrieben habe, werden viele zu neuen Menschen heranwachsen, die fähig sind, in der Welt von morgen zu leben - und zu ihnen werden sich jene älteren Menschen gesellen, welche die neuen, verändernden Konzepte in sich aufgenommen haben. Nicht alle jungen Menschen, natürlich. Ich höre, daß sich die jungen Leute heute nur für Arbeitsplätze und Sicherheit interessieren, daß sie nicht bereit sind, Risiken einzugehen oder sich für Innovationen einzusetzen, daß viele nichts anderes sind als Konservative, die sich bloß um die "Nummer ein", sich selbst kümmern. Das mag so sein, aber es gilt ganz gewiß nicht für die jungen Menschen, mit denen ich in Berührung gekommen bin. Ich bin allerdings sicher, daß manche fortfahren werden, in unserer gegenwärtigen Welt zu leben; viele jedoch werden diese neue Welt von morgen bewohnen.

Woher werden sie kommen? Nach meiner Beobachtung existieren sie bereits. Wo bin ich ihnen begegnet? Ich finde sie unter den Führungskräften der Wirtschaft, die aus dem Rattenrennen im grauen Flanell ausgestiegen sind und auf die Verlockungen und hohen Gehältern und Aktienvorkaufsrechten verzichtet haben, um ein einfacheres, neues Leben zu führen. Ich finde sie unter den jungen Männern und Frauen, die den größten Teil der Werte unserer heutigen Kultur über Bord geworfen haben, um auf neue Weise zu leben. Ich finde sie unter Priestern und Nonnen und Geistlichen, die die Dogmen ihrer Institutionen hinter sich gelassen haben, um auf eine sinnvollere Weise zu leben. Ich finde sie unter Frauen, die über die Schranken hinausgewachsen sind, welche die Gesellschaft ihrer persönlichen Entwicklung setzt. Ich finde sie unter Schwarzen und Chicanos und anderen Minderheiten, die nach Generationen der Passivität in ein selbstbewußtes gestaltetes Leben dringen. In finden sie unter Leuten, die Erfahrungen in Encountergruppen gemacht haben, die in ihrem Leben sowohl Raum für Gefühle als auch für Gedanken haben. Ich finde sie unter vorzeitigen Schulabgängern, die schöpferisch genug sind, sich in höhere Sphären vorzuwagen, als ihr steriler Unterricht zuläßt. Mir ist auch bewußt, daß ich diesem Menschentypus in meinen Jahren als Psychotherapeut begegnet bin, wann immer Klienten eine freiere, erfülltere, durch ihr eigenes Selbst bestimmte Lebensform für sich wählten. Dies sind einige der Zusammenhänge, in denen ich den Menschen begegnet bin, die fähig sein werden, in dieser verwandelten Welt zu leben. (S. 182)

 
Carl Rogers, Der neue Mensch, 1980








Wie zahlreich sind doch die Dinge, deren ich nicht bedarf? 
 
Sokrates


 





Wer zu bequem ist, um selber zu denken und selber Richter zu sein, der fügt sich eben in Verbote, wie sie nun einmal sind. Er hat es leicht. Andere spüren selber Gebote in sich, ihnen sind Dinge verboten, die jeder Ehrenmann täglich tut, und es sind ihnen andere Dinge erlaubt, die sonst verpönt sind. Jeder muß für sich selbst stehen.
 
Aus Eigensinn macht Spaß, Hermann Hesse